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Was ist Bewusstsein? – (K)ein Versuch, das Unerklärliche zu erklären

Über kaum ein Phänomen der menschlichen Existenz ist so viel nachgesonnen, geforscht, geschrieben und vor allem gestritten worden wie über das Bewusstsein. Das Bewusstsein ist als solches nicht greifbar, nicht messbar, nicht nachweisbar – und insbesondere der Ursprung des Bewusstseins bleibt ein Rätsel. Wo kommt unsere Fähigkeit zur individuellen Wahrnehmung, zur psychologischen Konstruktion eines „Selbsts“ sowie zur sogenannten Selbstreflexion eigentlich her? Wieso können wir uns des Bewusstseins bewusst sein und daraus folgern, dass wir – irgendwie – bewusst sind? Diese Frage ist bislang von niemandem zufriedenstellend beantwortet worden.

Was ist das eigentlich, dieses Bewusstsein? Unser Vermögen, wahrzunehmen, Gefäß für äußerliche Reize zu sein, nachzudenken und zu fühlen? Unsere Fähigkeit, Bewertungen aufzustellen, Meinungen zu bilden, Vorlieben und Abneigungen zu entwickeln und Schlüsse zu ziehen? Ist das unser Bewusstsein? Oder sind das bloß Prozesse, die sich auf der Grundlage des Bewusstseins zu manifestieren in der Lage sind? Und wie kommen zum Beispiel unsere Träume, unsere veränderten Bewusstseinszustände (beispielsweise hervorgerufen durch Drogen, Körperarbeit, Deprivation, Krankheit etc.) und unsere ekstatischen Erfahrungen beim Sex, während mystischer Visionen oder in lebensbedrohlichen Situationen zustande? Das alles sind schließlich Erfahrungsinhalte, die erst durch die Anwesenheit von Bewusstsein möglich sind und erfahrbar werden. Nur durch das Bewusstsein werden wir zu dem, was wir sind: ein Produkt des Allganzen, ein Teil des Universums, der in der Lage ist, sich selbst zu reflektieren. Ein erhabener wie aufregender Gedanke. Und trotzdem liefert auch dieser kleine Ritt durch phänomenologische Teilgebiete des Bewusstseins immer noch keine befriedigende Antwort auf die Frage: Was ist das Bewusstsein?

Hier stecken wir in einem Dilemma, das bereits seit langer Zeit von Philosophen, Psychologen, Neurologen und anderen Wissenschaftlern diskutiert wird. Dabei stehen Forscher, die sich dem Gebiet der Erforschung des Bewusstseins widmen, vor einem signifikanten Problem, nämlich dem, dass wir eben nur mithilfe unseres Bewusstseins über dasselbe nachsinnen können: „Da das Bewusstsein selbst die Bedingung aller inneren Erfahrung ist, so kann aus dieser nicht unmittelbar das Wesen des Bewusstseins erkannt werden. Alle Versuche dieser Art führen entweder zu tautologischen Umschreibungen oder zur Bestimmung der im Bewusstsein wahrgenommenen Tätigkeiten, welche eben deshalb nicht das Bewusstsein sind, sondern dasselbe voraussetzen. Das Bewusstsein besteht darin, dass wir überhaupt Zustände und Vorgänge in uns finden, und dasselbe ist kein von diesen inneren Vorgängen zu trennender Zustand“ (Wundt 1880: 195).

Bis heute hat die Wissenschaft keine sinnbringende oder zufriedenstellende Antwort auf die Frage der Definition des Bewusstseins finden können. Forscher, die dieses Defizit zu umschiffen versuchen, verlieren sich aus Mangel an Erklärungsmodellen, Analogien und Metaphern gerne in Schwurbeleien, das kann dann zum Beispiel so klingen wie im Buch „Bewusstsein“ von Psychologin Susan Blackmore: „Was ist das Bewusstsein? So einfach diese Frage klingen mag, so schwierig ist sie zu beantworten. Es liegt auf der Hand, dass sich die Wissenschaft mit dem Bewusstsein beschäftigt, aber sie könnte sich kaum einer größeren Herausforderung stellen. Beispielsweise müssen wir unser Bewusstsein verwenden, um uns selbst zu erforschen, was eine sehr widersprüchliche Vorstellung ist. Alternativ müssten wir uns irgendwie vom Bewusstsein lösen, um es objektiv untersuchen zu können, und das scheint schlechterdings unmöglich“ (Blackmore 2014: 7).

Der US-amerikanische Bewusstseinsforscher Charles T. Tart hat in seinem Buch „States of Consciousness“ zu den basalen Fragen des Phänomens des Bewusstseins bzw. des alltäglichen Bewusstseinszustands erläutert: „Unser gewöhnlicher Bewusstseinszustand ist nichts Natürliches oder Gegebenes, sondern eine hochkomplexe Konstruktion, ein spezielles Werkzeug, um mit unserer Umwelt und den Menschen umgehen zu können (…). Wenn wir das Bewusstsein genau analysieren, sehen wir, dass es sich aus vielen Teilen zusammensetzt. Doch diese Teile funktionieren in Form eines Musters: Sie bilden ein System. Während die einzelnen Komponenten des Bewusstseins isoliert untersucht werden können, existieren sie als Teile eines komplexen Systems, eben des Bewusstseins, und können nur dann vollständig verstanden werden, wenn wir diese Funktion im Gesamtsystem sehen. Ebenso erfordert das Verständnis der Komplexität des Bewusstseins, dass man es als System betrachtet und die einzelnen Teile versteht. Aus diesem Grund beziehe ich mich auf meinen Zugang zu Bewusstseinszuständen als Systemansatz. Um das konstruierte System zu verstehen, das wir einen Bewusstseinszustand nennen, beginnen wir mit einigen theoretischen Postulaten, die auf menschlicher Erfahrung basieren. Das erste Postulat ist die Existenz eines Grundbewusstseins. Da eine gewisse willentliche Kontrolle (…) des Gewahrseins möglich ist, bezeichnen wir es im Allgemeinen als Aufmerksamkeit/Bewusstsein. Wir müssen auch die Existenz von Selbstbewusstsein erkennen, das Bewusstsein darüber, dass wir bewusst sind“ (Tart 1975: 3f.).

Konventionelle Wissenschaftler konstatieren, dass das Bewusstsein ein Produkt des Gehirns und damit der neurophysiologischen und neurochemischen Vorgänge innerhalb unseres Körpers sei. Ganzheitlich orientierte Bewusstseinsforscher aus aller Welt negieren dies allerdings, weil es zu viele experimentelle Nachweise bzw. Hinweise darauf gibt, dass Bewusstsein auch ohne messbare Gehirnaktivität erhalten bleiben kann, zum Beispiel im Rahmen von Nahtoderfahrungen (NTE). Der Psychedelik- und Bewusstseinsforscher Stanislav Grof beispielsweise hat in seinen Schriften die Analogie zum Fernseher etabliert. Zu glauben, dass das Programm des TV-Geräts vom Fernseher selbst generiert werde, zeugt von einer gewissen Naivität. Die Hardware stellt lediglich die Technologie zur Verfügung, das Programm zu empfangen und wiederzugeben. Wer den Fernseher aufschraubt, um im Innenleben des Geräts nach dem Programm zu suchen, wird sich rasch damit abfinden müssen, dass einem solchen Unterfangen keine Aussicht auf Erfolg beschieden ist. Das Fernsehgerät ist Empfangsstation für eingehende Daten, die dann in ein Fernsehbild und Ton umgewandelt und ausgegeben werden. Stan Grof dazu: „Eine einfache Analogie ist die Beziehung zwischen einem Fernsehgerät und dem Fernsehprogramm. (…) Der Empfang des Programms – Bild- und Tonqualität – hängt stark vom reibungslosen Funktionieren des Fernsehgeräts und seiner Bestandteile ab. Störungen verursachen eindeutige und spezifische Veränderungen der Programmqualität. Manche führen zu Verzerrungen der Form, der Farbe oder des Tons, andere zu Interferenzen zwischen den Kanälen und so weiter. Wie der Neurologe, der Veränderungen des Bewusstseins als Merkmale für die Diagnose benutzt, kann ein Fernsehmechaniker von der Art der Anomalien darauf schließen, welche Funktionen und welche Komponenten defekt sind. Wenn das Problem erkannt ist, können die Verzerrungen korrigiert werden, indem diese Elemente repariert oder ersetzt werden. Da wir die Grundprinzipien der Fernsehtechnologie kennen, wissen wir, dass das Gerät nur das Programm überträgt, aber nicht seine Quelle ist. Wir wären amüsiert, wenn jemand versuchen würde, alle Transistoren, Relais und Schaltkreise des Fernsehers zu untersuchen, um herauszufinden, wie sie die Programme erzeugen. Selbst wenn wir diese fehlgeleiteten Bemühungen auf eine molekulare, atomare oder subatomare Ebene lenken, würden wir trotzdem nicht erfahren, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Micky-Maus-Trickfilm, eine Star-Trek-Folge oder ein klassischer Hollywood-Streifen auf dem Bildschirm erscheinen“ (Grof 2019: 118).

Mit einigen Abstrichen können wir uns auch das menschliche Gehirn ganz ähnlich wie den Fernseher vorstellen. Es fungiert nach Ansicht einiger Forscher und Experimentatoren nicht als Erzeuger des Bewusstseins, sondern als Filter und „Reduktionsventil“, wie der Psychonaut und Schriftsteller Aldous Huxley es formulierte. Der Mensch wäre ohne diese Filterfunktion des Gehirns den in sein geistiges Feld einströmenden Informationen hilflos ausgeliefert und nicht fähig, sein Überleben auf dem Planeten zu sichern. Lebenserhaltungstrieb und Reproduktion wären im Angesicht des übermäßigen Inputs nicht möglich. Man stelle sich vor, dass der Mensch grundsätzlich im Zustand erweiterten Bewusstseins leben müsste, wie ihn psychedelische Substanzen induzieren. Ein Funktionieren im Alltag als physisches Wesen wäre geradezu unmöglich. Deshalb nehmen Forscher an, dass das Gehirn im „normalen Leben“ das Alltagsbewusstsein erzeugt, indem es überflüssige Frequenzen aus dem Wahrnehmungsstrom herausfiltert. Bildgebende Verfahren erbrachten bei Untersuchungen der Hirnaktivität unter Einfluss psychedelischer Substanzen die Erkenntnis, dass während dieser Zustände Gehirnregionen miteinander verknüpft sind, die im Alltagsbewusstsein nicht interagieren bzw. dass auch Hirnregionen, die normalerweise miteinander im Austausch stehen, voneinander getrennt werden (Carhart-Harris et al. 2016). Auf diese Weise könnte es sein, dass die Funktion des Gehirns als „Reduktionsventil“ das alltägliche, abgespeckte Bewusstsein, in summa unser Rinnsal von Bewusstsein, generiert, das nur winzig kleine Ausschnitte aller zur Verfügung stehenden Frequenzen in unser geistiges Feld durchlässt und damit das Alltagsbewusstsein erzeugt.

Wie dem auch immer sei, Verfechter konventioneller Wissenschaft sind felsenfest davon überzeugt, dass Bewusstsein stets an ein Gehirn gekoppelt sein muss. Dies wird von einer großen Reihe entsprechender Protagonisten nicht etwa als eine von vielen Theorien behandelt, sondern als die ultimative und unumstößliche Wahrheit verkauft. Unter anderem die Wirkung von psychoaktiven Drogen wird dabei als „Beweis“ ins Feld geführt, hier nur ein Beispiel, das für zahllose andere stehen kann:

„Die Wirkung von Drogen ist vielleicht der überzeugendste Beweis dafür, dass unser Bewusstsein vom Gehirn abhängt. Das mag offensichtlich sein, doch ich erwähne es, weil es noch immer Menschen geben mag, die der Ansicht sind, ihr Geist sei vom Gehirn unabhängig und könne auch nach dessen Tod weiterleben.“ (Blackmore 2014: 171).

In Wirklichkeit wissen wir gar nichts dergleichen. So wenig, wie Fürsprecher einer Theorie vom ewigen Bewusstsein die Wahrheit für sich und ihre Konstrukte beanspruchen, so sehr bestehen Vertreter der materialistischen Wissenschaft auf den alleinigen Wahrheitsanspruch ihrer eigenen Ideen und Schlussfolgerungen. In der Wissenschaft zählt aber Evidenz, die durch wie auch immer geartete Beweise untermauert wird. Weil wir im vorangegangenen Zitat den Standpunkt der konventionellen Wissenschaft und deren „Beweis“ angesehen haben, dass „unser Bewusstsein vom Gehirn abhängt“, lassen wir abermals den renommierten Bewusstseinsforscher Stanislav Grof darauf antworten, der das menschliche Bewusstsein seit mehr als 60 Jahren professionell erforscht:

„Gemäß dem derzeitigen wissenschaftlichen Weltbild ist das Bewusstsein ein Epiphänomen materieller Prozesse; es entsteht angeblich aus der Komplexität der neurophysiologischen Vorgänge im Gehirn. Diese These wird mit großer Entschiedenheit als eine offensichtliche Tatsache präsentiert, die zweifelsfrei wissenschaftlich bewiesen worden sei. Bei genauerem Hinsehen entdecken wir allerdings, dass es sich um eine grundlegende metaphysische Annahme der monistischen materialistischen Wissenschaft handelt, die nicht durch Fakten untermauert ist und tatsächlich im Widerspruch zu den Erkenntnissen der modernen Bewusstseinsforschung steht. Nur sehr wenige Menschen, darunter auch Wissenschaftler, erkennen, dass wir tatsächlich keinen Beweis dafür haben, dass Bewusstsein vom Gehirn erzeugt wird“ (Grof 2019: 114f.).

Grof erläutert weiter: „Die Beweise, dass Bewusstsein kein Produkt des menschlichen Gehirns ist, sondern ein Grundaspekt des Seins, sind überwältigend; das Gehirn vermittelt Bewusstsein, erzeugt es aber nicht. Die menschliche Psyche ist nicht auf die postnatale Biographie und das freudsche individuelle Unbewusste beschränkt. Sie enthält zwei weitere Bereiche von entscheidender Bedeutung – den perinatalen, der eng mit dem Trauma der biologischen Geburt verbunden ist, und den transpersonalen, dem Ursprung von Erfahrungen, die über die Begrenzungen von Raum, Zeit und die Reichweite unserer physischen Sinne hinausgehen“ (ebd.: 21).

Der von der materialistischen Wissenschaft genannte „Beweis“ begründet sich unter anderem auf die Tatsache, dass zum Beispiel psychotrope Substanzen das Gehirn affizieren und damit unser Bewusstsein verändern. Wir rekapitulieren: Die erfahrene Veränderung des Bewusstseinszustands wird von konservativen Forschern allein der Veränderung der Gehirnchemie zugeschrieben. Der US-amerikanische Psychologe Rick Strassman hat in den 90er Jahren die weltweit erste Studie mit DMT (N,N-Dimethyltryptamin) an menschlichen Probanden durchgeführt und nennt das Tryptaminpsychedelikum DMT seitdem das „Bewusstseinsmolekül“. Nach Strassmans Forschungen führt uns dieses Bewusstseinsmolekül „auch in spirituelle, in geistige Welten. Diese Welten sind normalerweise für uns und unsere Instrumente unsichtbar und in unserem normalen Bewusstseinszustand nicht zugänglich. Die Theorie, dass diese Welten nur innerhalb unseres Geistes‘ existieren, ist jedoch nicht wahrscheinlicher als die, dass sie in Wirklichkeit ‚außerhalb‘ und unabhängig von uns vorhanden sind. Eine Änderung der Fähigkeiten unseres Gehirns, etwas zu empfangen, würde ausreichen, damit wir diese Welten wahrnehmen und mit ihnen interagieren können“ (Strassman 2004: 86).

Die letzte Hypothese entspräche letztlich einer Rekonfiguration des Gehirns als Reduktionsventil und wäre ein Hinweis darauf, dass das Hirn tatsächlich wie ein Filter arbeitet und dem menschlichen (oder auch tierischen) Bewusstseinshorizont nur bestimmte Spektren aller existierenden und potenziell wahrnehmbaren Frequenzen zur Verfügung stellt. Eine Veränderung der Filterfunktion führte dann zu einer entsprechenden Veränderung des Bewusstseinszustands.

Die Beweise für ein vom Gehirn abgekoppeltes, das ganze Universum durchdringendes Bewusstsein, die Forscher wie Stanislav Grof über Jahrzehnte mit Tausenden von Probanden erarbeitet haben, werden im Vergleich zur konventionellen Ausrichtung der Wissenschaft deutlich konkreter. Die von Grof und Kollegen angeleiteten und ausgewerteten Studienteilnehmer, die in zahlreichen Untersuchungen mit Zuständen veränderten Bewusstseins konfrontiert wurden, hatten auf Bereiche der Psyche Zugriff, die weit über das individuelle Biografische hinausgingen. Grof erläutert: „In den letzten sechs Jahrzehnten haben verschiedene Wege der modernen Bewusstseinsforschung eine ganze Reihe ‚ungewöhnlicher Phänomene‘ aufgedeckt – Erfahrungen und Beobachtungen, die einige der allgemein anerkannten Annahmen der modernen Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie über die Natur und die Dimensionen der menschlichen Psyche, die Ursprünge emotionaler und psychosomatischer Störungen und wirksame therapeutische Mechanismen untergraben haben. Diese ‚ungewöhnlichen Phänomene‘ stammen aus den Bereichen der Anthropologie, der Thanatologie, der Parapsychologie, der psychedelischen Forschung und den wirkungsvollen erfahrungsorientierten Therapien. Viele dieser Beobachtungen sind so fundamental, dass sie die metaphysischen Grundprämissen der materialistischen Wissenschaft zur Beziehung zwischen Bewusstsein und Materie sowie zur Beschaffenheit des Menschen und der Realität in Frage stellen“ (ebd.: 110f.).

Das geht so weit, das Universum selbst nicht bloß als mit Materie angefüllten Raum, sondern als Ausdruck bzw. Erfahrungsgrund und -matrix eines Universalen Bewusstseins anzuerkennen, wie es zahlreiche Erkenntnisse aus der psychedelischen Forschung und den spirituellen Traditionen seit Hunderten, ja Tausenden von Jahren nahelegen. Materie ist in diesem Fall nichts weiter als eine Art kondensiertes, sklerosiertes Bewusstsein, und Lebewesen sind Erfahrungseinheiten, scheinbar individualisierte Fragmente des Allbewusstseins, die als vermeintlich getrennte Entitäten die lebendige Vielfalt der Schöpfung in erfahrbare Formen bringen. Wie auch die Quantenphysik bereits vor hundert Jahren erkannte, ist das, was wir gemeinhin als „Materie“ bezeichnen, im tiefsten Urgrund nichts wirklich Greifbares. Zwar können wir aus der Perspektive des nur die grobe Vergröberung aller „Realitäten“ erfahrenden Wesens sagen, der Tisch ist ein Tisch. Zerlegt man aber alle Materie des Tisches in ihre Einzelteile bis unterhalb der subatomaren Ebene, so stellt man fest, dass von der scheinbar festen Physikalität nichts übrigbleibt. Kurz und höchst vereinfachend gesagt: Erst ein erkennendes Bewusstsein, das eine wie auch immer geartete Messung vornimmt, gebietet darüber, ob ein entsprechendes Quantenobjekt die Eigenschaften von Welle oder Teilchen annehmen wird.

Der Physiker Hans-Peter Dürr (1929-2014) hatte sich geradezu enthusiastisch mit diesem Thema beschäftigt und eine Reihe gut nachvollziehbarer Bücher publiziert, zu denen zum Beispiel das bahnbrechende Buch „Es gibt keine Materie!“ gehört. Dürr kam nach über 50 Jahren der Forschung auf diesem Gebiet „zu dem verblüffenden Ergebnis: Das Wesentliche liegt nicht in der Materie, sondern die gibt es eigentlich gar nicht. Was wir für Materie halten, ist in Wirklichkeit Bewusstsein“ (Sonneck 2011). Demnach existieren in Wahrheit, im Hintergrund alles Seins, keine materiellen Objekte, sondern lediglich Beziehungsstrukturen, die vom ursprünglich formlosen universellen Bewusstsein generiert werden und in unserer Wahrnehmung nur den Anschein erwecken, feste und autonome, also voneinander getrennte Materie zu sein.

Die drei Grundzustände menschlichen Bewusstseins in den spirituellen Traditionen

Schauen wir uns eines der bekanntesten spirituellen Symbole des asiatischen Raums an, nämlich das OM (auch AUM), das im Hinduismus und Buddhismus von zentraler Bedeutung ist. Das Piktogramm des OM besteht aus drei mehr oder weniger U-förmigen Fragmenten, die für die drei grundlegenden menschlichen Bewusstseinszustände Pate stehen: Der Bogen links oben symbolisiert das „normale“ Alltagsbewusstsein, der Bogen darunter steht für das nach innen gerichtete Traumbewusstsein und der Bogen rechts für das Unbewusste, den Tiefschlaf, die Narkose. Nach den erfahrungsbasierten Erkenntnissen der spirituellen Traditionen entstammen wir alle einer einzigen Quelle, dem Universalen Bewusstsein, der Alleinheit, der Leere (Potenzialität), der alles entspringt – das, was manche Gott nennen – was im OM-Piktogramm zuoberst als Punkt oder kleines Karo dargestellt ist. Der darunter liegende halbmondförmige Bogen steht für Maya, den Schleier des „gewöhnlichen Bewusstseins“, der uns von der Erkenntnis, der Quelle zu entstammen, ja die Quelle selbst zu sein, abschneidet. Erst in kontemplativem, meditativem und erweitertem Bewusstseinszustand sind wir Menschen in der Lage, den Schleier zu durchschauen. Darüber hinaus hat das OM-Symbol zahlreiche weitere Bedeutungen, so steht es für die Darstellung der heiligen Trinitäten, für die drei Gottesaspekte im Hinduismus: A (Vishnu), U (Shiva) und M (Brahman) etc. pp.

Literatur

Blackmore, Susan (2014), Bewusstsein – Eine sehr kurze Einführung, Bern: Verlag Hans Huber

Carhart-Harris, R.L. et al. (2016), Neural correlates of the LSD experience revealed by multimodal neuroimaging, Proc Natl Acad Sci U S A. 113(17): 4853-8.

Dittrich, Adolf (1985), Veränderte Wachbewusstseinszustände, Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag

Dürr, Hans-Peter (2014), Es gibt keine Materie!, Amerang: Crotona Verlag

Grof, Stanislav (2019), Der Weg des Psychonauten, Band 1, Solothurn: Nachtschatten Verlag

Sonneck, Birgit (2011), Hans-Peter Dürr: Materie, Bewusstsein und Wirklichkeit, Internet: www.schlüsseltexte-geist-und-gehirn.de; abgerufen 15.11.2019