Grassland, H. Lee

Grassland – Die poetischste Dokumentation der Cannabis-Kultur in Kalifornien

Beim Thema Cannabis stehen die USA vor einer historischen Wende: Das Gleichgewicht zwischen jenen, die die sogenannte „weiche Droge“ illegal belassen wollen, und jenen, die sich für weitreichende Reformen aussprechen, hat sich in den letzten Monaten drastisch verschoben. Jahrzehntelang haben Hanf-Grower in Nordkalifornien streng geheim operiert und ihre Plantagen vor der Polizei getarnt, doch seit es neue, legale Märkte für Cannabis gibt, wird der Anbau immer sichtbarer. Die in New York ansässige Fotografin H. Lee* dokumentierte ein Jahr lang die Cannabis-Kultur in Humboldt County. Während sie inmitten von Cannabisgärtnern lebte, wurden ihr auch recht intime Einblicke in die Welt des kalifornischen Cannabis-Anbaus gewährt, die sie nun als Fotobuch veröffentlicht.

Der Bildband Grassland bietet Einblicke eines Insiders in die bisher streng geheime Welt, die unter den gigantischen Redwoods von Humboldt County existiert – dem Mittelpunkt des kalifornischen Cannabis-Anbaus. Eine nicht geringe Anzahl von Menschen ist von der Kultivierung dieser Pflanze geprägt, die zugleich als magisch und medizinisch wertvoll angesehen wird, deren Anbau das Versprechen des Profits trägt und immer noch mögliche Gefängnisstrafen mit sich bringt. Mittlerweile öffnen die Grower nun aber ihre versteckten Gewächshäuser und lassen auch die Sonne auf ihre riesigen Pflanzen scheinen – ein Zeichen dafür, dass ein Ende des Verbots immer greifbar wird. Wir sprachen mit der New Yorker Fotografin über ihre Zeit auf kalifornischen Hanfplantagen.

Wie bist du darauf gekommen, eine Fotoreportage über die Cannabiskultur in Kalifornien zu machen?

Ich habe eine zeitlang als Journalistin gearbeitet und bin damals meinem Freund – der selber ein Grower ist – nach Humboldt County, dem Zentrum der kalifornischen Cannabisszene gefolgt. Am Anfang wußte ich noch rein gar nichts über diese große und bunte Szene der Cannabis-Bauern und hatte daher auch noch viele Vorurteile, die sich erst mit der Zeit entkräften ließen.

Wie kamst du schließlich auf die Idee, dein Leben in Humboldt County fotographisch zu dokumentieren?

Ich habe erst mit der Foto-Reportage begonnen, nachdem ich schon viele Jahre im sogenannten „grünen Dreieck“ verbracht hatte. Als sich dann die Möglichkeit bot, neun Monate am Stück im Humboldt County zu verbringen, fing ich an, meine Umgebung und die Augenblicke um mich herum immer öfter mit der Kamera festzuhalten. Das war 2010, als die Präposition 19 – auch bekannt als der Regulate, Control und Tax Cannabis Act – in Kalifornien von 53,5% der Wähler abgelehnt wurde und hier in den USA immer mehr Bewegung in die Diskussion um Cannabis im speziellen und die Drogenpolitik im allgemeinen kam.

Wie kann man sich das Leben im Humboldt County – der Wiege der kalifornischen Cannabis- und Growerkultur – eigentlich konkret vorstellen?

Ich bin ja auch zuvor schon viel gereist und auf der Welt herum gekommen – aber ich habe bisher keinen anderen Ort wie Humboldt County gefunden. Die meisten Menschen, die in den drei angrenzenden Bezirken, die das grüne Dreieck bilden, wohnen, leben vom Cannabisanbau. Die Menschen arbeiten hier als Grower, Erntehelfer, Transporteure, Dealer, usw. und scheinen dabei alle zwischen einer und 500 Pflanzen in ihrem Garten stehen zu haben. Das hat zu einer außergewöhnlichen und recht verschlossenen Gemeinschaft geführt, die sich hier angesiedelt hat – einer kleinen Gesellschaft am gesellschaftlichen Rand, die nach ihren eigenen Regeln und außerhalb des Systems lebt. Und weil jeder, der hier lebt, auf die eine oder andere Weise seinen Lebensunterhalt mit Cannabis verdient und die Behörden ja nicht alle verhaften können, fühlen sich die Grower hier nun schon seit Jahrzehnten relativ sicher. Trotzdem wird hier Fremden oft mit großem Misstrauen begegnet und man schützt sich und sein Eigentum mit dicken Vorhängeschlössern und bissigen Hunden – und teilweise auch mit Schusswaffen.

Hat dich die Realität dieser Subkultur eher überrascht oder hast du schon so etwas ähnliches erwartet?

Ich hatte eigentlich vorab keine konkreten Erwartungen – das Ganze war viel eher ein aufregendes und völlig unerwartetes Abenteuer. Als Außenseiterin hat es natürlich eine ganze Weile gedauert, bis ich mich in dieser Szene zurechtgefunden und das Vertrauen der wichtigsten Akteure gewonnen habe. Die Grower sind sich untereinander zwar recht grün – nach außen hin sind sie aber meist sehr verschlossen. Sie alle verbindet die Leidenschaft für den Anbau von Cannabis, sie alle sind von der heilenden Wirkung dieser Pflanze überzeugt und sie alle hegen gegenüber der Außenwelt und der US-amerikanischen Gesellschaft ein großes Misstrauen. So ist mit der Zeit eine einzigartige Szene entstanden, die von starken Überzeugungen und Charakteren geprägt wurde und wird.

Wie haben denn die lokalen Grower reagiert, als sie von deinem Projekt erfahren haben?

Da mich zu diesem Zeitpunkt viele schon persönlich kannten, hatten sie kein Problem damit – solange ich auf meinen Bildern nicht ihre Gesichter zeige. Andere wollten es komplett vermeiden, dass ich sie oder ihre Plantagen fotografiere – das habe ich natürlich respektiert.

Hat sich die Szene im Humboldt County in den letzten Jahren sehr verändert?

Ich war zuletzt während der Erntezeit im vergangenen Herbst im grünen Dreieck, um dort noch etwas mehr zu fotografieren. Zuvor war ich etwa zwei Jahre nicht mehr vor Ort gewesen und stellte so fest, dass inzwischen viel mehr Leute dort waren und arbeiteten. Studenten und junge Leute aus den gesamten Vereinigten Staaten jobbten hier nun als Erntehelfer. Die Gärten und Plantagen sind auch entsprechend größer geworden und werden nun längst nicht mehr so gut getarnt, wie noch vor ein paar Jahren. Gleichzeitig sind die Preise auch um gut 50 Prozent gefallen und viele Grower verkaufen ihre Ernte mehr oder weniger legal an offizielle Medizinalhanf-Abgabestellen in Städten wie Los Angeles. Die Szene verändert sich zunehmend – immer im sich ja auch verändernden gesetzlichen Rahmen.

Hast du eigentlich nur fotografiert oder auch selber mal etwas eingepflanzt?

Das habe ich tatsächlich – und dabei habe ich eine Menge über diese einzigartige Pflanze gelernt und viel von ihrer natürliche Schönheit gesehen.

*H. Lee, Grassland, Kehrer Verlag, Herausgegeben von Gregor Ehrlich, Texte von Emily Brady und H. Lee, Festeinband, 22,4 x 28,6 cm, 112 Seiten, 75 Farbabb., Deutsch/Englisch, ISBN 978-3-86828-481-2, Euro 36,–