Bio-Boom-(01)

Der Bio-Boom – pro und kontra

Frisch, unbehandelt, einfach gesünder – so sehen viele Bio-Käufer ihre Produkte. Biologische Lebensmittel geben ihnen einfach ein „besseres Gefühl“, dabei sind die Zeiten längst vorbei, als „Bio“ noch für regionale Produkte im Laden um die Ecke standen. Mittlerweile haben auch alle großen Einzelhandelsketten den Bio-Markt für sich entdeckt und suchen dabei – ebenso wie bei allen anderen Angeboten – global nach dem günstigsten Preis. Leidet darunter nicht ganz zwangsläufig die Qualität?

Keine Frage – Bio boomt. Heutzutage lässt sich mit Bio Geld verdienen. Richtig viel Geld. Es ist ein gutes, internationales Geschäft. Der deutsche Bio-Großhändler Hansjörg Schrade ist beispielsweise sehr zufrieden, seine Umsätze haben sich in den letzten Jahren verfünffacht: „Bio hat sich von der Latzhose ins Premium-Segment hochgearbeitet. Das, was früher Feinkost war, ist heute Bio und da hat die Kundschaft gehobene Ansprüche: Heidelbeeren aus Italien, Gala-Äpfel aus Neuseeland, Melonen aus Frankreich, Supermangos aus Burkina oder Ecuador – das gibt’s alles auch in Bio. Und das wird auch alles gekauft.

Kein Wunder also, dass mittlerweile auch die Discounter Bio-Produkte anbieten. Doch passt das überhaupt zusammen? Bio im Billigmarkt? Wie gut sind diese Waren und woher stammen sie? Letzteres kann der interessierte Bio-Kunde selber auf dem Etikett entdecken: aus aller Welt. Manch’ anderes lässt sich dagegen nicht so einfach auf dem Etikett entdecken: Zum Beispiel, wie viel Bio überhaupt in dem jeweiligen Bio-Produkt ist. Man möchte doch annehmen, dass – wenn irgendwo Bio drauf steht – da auch wirklich Bio drin ist. Doch das ist nicht immer so.

Unlängst kritisierte die Verbraucherschutzorganisation „Foodwatch“ den meist nur sehr geringen Anteil natürlicher Zutaten in den sogenannten Bio-Limonaden. Ein Beispiel unter vielen ist die Bio-Limonade „Beo“ des dänischen Brauereikonzerns Carlsberg, bei dem die Bio-Kriterien (Foodwatch zufolge) nur auf 5,5 Prozent der enthaltenen Zutaten zutreffen. Bei „Beo“ kam lediglich der Zucker in dem Getränk und das verwendete Gerstenmalz aus biologischem Anbau.

Die vielen Geschmacksstoffe der Limonade hingegen kommen dagegen nicht etwa von biologisch kultivierten Früchten, sondern aus dem Nahrungsmittellabor und wurden dort mit Hilfe von Schimmelpilzen, Enzymen oder Bakterien gezüchtet. Das ist zwar ein klarer Verstoß gegen die geltende EU-Bio-Verordnung – doch zu stören scheint das niemanden.

Dabei werden die künstlich erzeugten Geschmacksstoffe auf den Flaschen-Etiketten auch noch als „natürliche Aromen“ bezeichnet – hier wird der umweltbewusste Kunde ganz offensichtlich in die Irre geführt, denn abgesehen von den Zusatzstoffen, entspricht nicht einmal das Wasser der Limonade den geltenden Bio-Kriterien. Tatsächlich ist in den meisten Bio-Limonaden gar kein (oder nur sehr wenig) Bio drin.

Neben Carlsberg werben auch noch eine ganze Reihe anderer Biolimo-Hersteller mit der Natürlichkeit ihrer Getränke – doch das entpuppt sich laut Foodwatch „fast immer als Etikettenschwindel“. Anne Markwardt, Foodwatch-Nahrungsmittelexpertin erklärte dazu in einem Interview: „Der Verbraucher kann hier nicht davon ausgehen, dass der Geschmack aus der Frucht kommt.“ Vielmehr handele es sich in aller Regel um Geschmacksstoffe aus dem Labor, Beispiele seien die Getränkehersteller Coca-Cola mit der Bio-Limo „The Spirit of Georgia“, der Hersteller Sinalco mit der „Sinconade“ oder der Bierbrauer Warsteiner mit „Aloha“.

Wer jetzt erleichtert aufatmet, weil hier bisher noch nichts von der wohl bekanntesten und ältesten Bio-Limonade „Bionade“ geschrieben stand, der sei nun doch noch enttäuscht: Auch in der „Bionade“ sind bisher nur künstliche Geschmacksstoffe enthalten – allerdings hat die Firma gegenüber Foodwatch signalisiert, „langfristig Aromen aus biologischem Anbau beziehen zu wollen“. Daneben unterstütze Bionade auch heute schon lokale Anbauprojekte – so zum Beispiel die biologische Kultivierung von Holunder in seiner Heimatregion im Norden Bayerns.

Schon seit einigen Jahren hat auch der Discounter LIDL eine eigene Bio-Marke im Sortiment. Für Helge Bremicker, den LIDL-Chefeinkäufer für Europa ist es ein Geschäft wie jedes andere: „Bio wird bei uns genauso behandelt wie konventionelle Ware. Wenn Sie sich zum Beispiel die Bio-Karotten anschauen und nehmen unsere konventionellen Karotten daneben – wir haben bei unseren konventionellen Karotten noch nie eine Beanstandung gehabt, die sind im Grund fast Bio. Bei der Kaufentscheidung des Kunden ist mit Sicherheit viel Ideologie dabei. Doch wie dem auch sei – es ist natürlich jedem Kunden selbst überlassen, zu welchem Produkt er greift. Und wenn es nun mal Kunden gibt, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, nur noch Bio-Artikel zu kaufen, dann müssen wir diesen Kunden die Möglichkeit geben, auch bei uns Bio-Artikel kaufen zu können. Einen tatsächlichen Mehrwert bei Bio-Waren kann ich jedoch persönlich nicht erkennen. Denn konventionelle Waren sind nicht schlechter als Bio-Produkte – ganz im Gegenteil.“

Ganz im Gegenteil? Das klingt sicherlich wie Hohn in den Ohren kleiner Bio-Bauern, die zu Recht von der Qualität ihrer Produkte überzeugt sind. Doch diese kleinen und „sauberen“ Bio-Bauern können die mittlerweile benötigte Masse von Bio-Waren nicht mehr selbst produzieren. Mittlerweile werden in Deutschland jährlich rund vier Milliarden Euro durch Bio-Waren umgesetzt – Tendenz steigend. Bio ist längst ein globales Geschäft. Aber warum auch nicht – schließlich sind doch biologische Lebensmittel in jedem Fall viel gesünder als konventionelle Waren, oder?

Der Bio-Kritiker und Buchautor Michael Miersch widerspricht dieser These: „Das wichtigste Argument bei Bio-Kauf ist natürlich die Gesundheit. Doch dazu muss man sagen, dass es ja schon seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ganz verschiedene Formen des biologischen Anbaus gibt und seit dem viele Versuche unternommen wurden, eine gesundheitliche Überlegenheit von biologisch erzeugten Lebensmitteln eindeutig nachzuweisen – dass man beispielsweise weniger erkrankt oder länger lebt. Doch das ist bis heute nicht gelungen. Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass Bio-Kost tatsächlich irgendwie gesünder für den Menschen ist.“

In seinen Büchern klärt Miersch über Öko-Irrtümer wie diesen auf, ohne jedoch grundsätzlich gegen die biologische Landwirtschaft zu argumentieren. Ganz im Gegenteil, er spricht sich für einen noch viel größeren Anteil an biologischen Anbauflächen aus. Doch er stellt auch unbequeme Fragen und Thesen zur Diskussion: „Heutzutage hat Essen ja nicht mehr – so wie früher – viel mit satt werden zu tun. Es geht ja gar nicht mehr um genügend Kalorien, es ist eine Sache des Lifestyles geworden. Oft geht es dabei nur um die Frage, wie man sich darstellen oder selber sehen will. Bio hat eine Image-Funktion und es ermöglicht seinen Konsumenten, sich von der breiten Masse abzuheben und damit etwas Besonderes zu sein. Gleiches gilt übrigens für Vegetarier und insbesondere für Veganer. Aber warum auch nicht – wenn es denn dabei hilft, sich (im wortwörtlichen Sinne) besser zu fühlen…

Inzwischen entdeckt auch die breite Masse den Bio-Sektor immer mehr für sich und kauft – ob aus Neugier (Schmecken Bio-Äpfel wirklich besser?) oder Gesundheitsbewusstsein (Bio-Äpfel sind bestimmt gesünder…) auch schon mal Bio-Produkte ein. Dabei wird allerdings eher auf den Preis als auf das Herstellerland geschaut. Wenn neuseeländische Bio-Äpfel günstiger sind als deutsche, warum dann nicht bei den neuseeländischen zuschlagen? Schließlich haben wir unseren Markt schon für alle möglichen Produkte geöffnet – warum dann nicht auch für Bio-Waren? Weil genau das die „sauberen“ Bio-Bauern eliminiert, hält Öko-Kritiker Miersch dagegen: „Wenn man sich heute in einem Bio-Supermarkt umschaut, dann wird man feststellen, dass mehr als die Hälfte aller Waren importiert wurden – sie kommen aus allen möglichen Ländern. Auch China ist inzwischen in den Bio-Markt eingestiegen, schließlich lässt sich damit ein Haufen Geld machen. Insofern haben wir hier einen ähnlichen Prozess, wie er in den 60er und 70er Jahren in der konventionellen Landwirtschaft stattgefunden hat – es ist das Prinzip ‚Wachse oder weiche‘. Es ist daher unvermeidlich, dass auch der Bio-Sektor in Zukunft immer weiter industrialisiert wird.“

Ist es wirklich das, was Bio-Kunden wollen, um sich irgendwie besser zu fühlen? Chinesische Industrie-Bio-Ware? Stand „Bio“ nicht einmal für die Nähe zur Natur, für Sorten- und Artenvielfalt? Ja, das war mal so, doch so wird es nie mehr sein. Immer mehr chinesische Anbaubetriebe haben inzwischen auch eine Zulassung für Europa, dabei werden in China die Bio-Gewächse direkt neben konventionell produziertem Obst und Gemüse angebaut. Das ist aber nicht nur in China gängige Praxis. Zwar werden jährlich alle Betriebe, die das EU-Bio-Siegel erhalten, aufs Neue überprüft – doch Faktoren wie die unmittelbare Nähe zu konventionell angebauten Nahrungsmitteln werden bei der Siegel-Vergabe bisher nicht mitberücksichtigt. Doch genau daran liegt es, dass die industriell kultivierten Bio-Waren einen viel zu hohen Pestizid-Gehalt aufweisen.

Dazu kommt, dass man sich bei Bio-Pflanzen lediglich um den biologischen Anbau sorgt – heutzutage wird daher sogar schon Gen-Food biologisch angebaut. Unbehandeltes Saatgut ist in China – wenn überhaupt – nur noch sehr schwer zu bekommen. Dennoch hat China einen großen Vorteil, was den internationalen Bio-Markt betrifft: Die Herstellung von Bio-Waren ist nämlich sehr arbeitsintensiv und an billigen Arbeitskräften mangelt es in der Volksrepublik nun wahrlich nicht.

Aber auch in Deutschland wird in der Bio-Branche häufig gespart – gerne auch bei den Personalkosten.

Und so bezieht die bundesweite Bio-Handelskette „Alnatura“ ihre Belegschaft zwar nicht aus Rumänien, aber dafür bezahlt sie ihre deutschen Mitarbeiter meist unter Tarif. „Wir orientieren uns am Tarifvertrag – aber wir entsprechen dem Tarifvertrag nicht in jedem Detail“, sagte die Sprecherin der „Alnatura GmbH“ unlängst in einem Interview. Vor allem das Einstiegsgehalt ungelernter Mitarbeiter könne unter dem Tariflohn liegen, sagte Haccius und bestätigte damit einen Bericht der „taz“. Angeblich würden zumindest „leistungsstarke Mitarbeiter“ etwas besser bezahlt.

Die Tageszeitung taz hatte zuvor berichtet, dass die größte deutsche Biomarktkette einer hauptberuflichen Kassiererin in einer Filiale in Berlin-Kreuzberg einen Stundenlohn von gerade mal 9,73 Euro bezahle – und damit 33 Prozent weniger, als den tariflich vereinbarten Mindestlohn für diese Tätigkeit. Selbst wenn man die Extraleistungen Gewinnbeteiligung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld dabei mit einbezieht, gehe die Alnatura-Kassiererin für die gleiche Arbeit mit rund 20 Prozent weniger Geld nach Hause als eine nach dem geltenden Tarif bezahlte Kollegin.

„Das kann im Einzelfall sein“, gab zu und betonte: „Wir haben uns ein System für die Einkommensgestaltung überlegt, das wir für angemessen halten.“ Das System habe zwölf Stufen und sei stark an der Kompetenz und den Leistungen der Mitarbeiter orientiert. Die „taz“ warf dem Unternehmen in dem Artikel vor, hier auf kosten der Belegschaft und als „Ökokapitalist“ abzusahnen: „Obwohl das 26 Jahre alte Unternehmen mit mehr als 1300 Beschäftigten etabliert ist, akzeptiert es, wie offenbar alle anderen Biohändler auch, immer noch nicht die Tarifverträge mit ihren teils deutlich höheren Löhnen.“ Statt Tariflöhnen bekämen die Alnatura-Mitarbeiter zum Beispiel Yoga-Kurse, schreibt das Blatt und zitiert Firmen-Chef und Gründer Götz Rehn: „Wir haben eine Bieneninitiative. Wir haben Theatergruppen. Wir haben einen Chor. Wir haben die Yoga-Gruppe. Wir haben Winterseminare. Das bedeutet ja alles eine Erhöhung des Gehalts.“ Alnatura müsse sich daher nichts vorwerfen lassen.

Die „Alnatura GmbH“ betreibt derzeit 55 Natur-Supermärkte in 35 Städten, im Geschäftsjahr 2009/2010 betrug der Umsatz 382 Millionen Euro, ein Plus von 18 Prozent zum Vorjahr – von den saftigen Gewinnen sehen die unterbezahlten Mitarbeiter allerdings nichts, außer Yoga-Kurse, Theatergruppen und dem bestimmt ganz tollen Firmen-Chor…

Natürlich gibt es auch in Europa eine ganze Reihe von Billigstandorten für biologischen Anbau – die meisten davon findet man derzeit in Rumänien. Hier lässt auch Theo Häni, ein Schweizer Vermögensverwalter im großen Stile Bio-Waren produzieren – sein erklärtes Lieblingsprodukt ist der biologische Schafskäse. Häni hat schon Zig Millionen in den deutschen Bio-Markt gepumpt, obwohl seine Anleger keine Öko-Idealisten, sonder schwerreiche Araber sind. Die lassen ihn jetzt an den günstigsten Standorten Europas große Mengen an Bio-Lebensmitteln für den deutschen Markt herstellen. Häni scheint mit der Wahl des Produktionsstandortes voll zufrieden zu sein: „Es ist immer noch besser, hier in Rumänien oder Bulgarien Bio-Waren zu produzieren, als sie aus China oder Südamerika zu importieren. Innerhalb eines Lastwagentages gelangen unsere Produkte von hier aus in alle wichtigen Ballungszentren Europas – so weit weg ist das ja nicht.“

Es ist ein internationales Joint Venture – tagtäglich werden in Rumänien viele Tonnen Bio-Schafskäse für die EU hergestellt. Das Ganze unter Schweizer Regie und mit arabischem Geld. Vermögensverwalter Häni geht es in erster Linie um ein gutes Geschäft: „Ich glaube, der Markt verändert sich sehr stark, weil sich inzwischen nicht nur der Fachhandel diesem Thema widmet, sondern eben auch der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel, der die Bio-Schiene damit sehr stark fördert. Und die brauchen mittlerweile große Mengen. Es gibt zwar auch sehr viele kleine Käsereien aber es ist doch klar, dass der Lebensmitteleinzelhandel, der ja die ganz großen Mengen braucht, lieber nur mit einem Produzenten beim gleichen Produkt zusammen arbeitet – vor allem, um damit auch eine einheitliche Qualität gewährleisten zu können.“

Selbst die Produktionskosten ließen sich perspektivisch noch weiter minimieren, meint Häni: „Ich glaube, dass wir mittelfristig Bio sogar noch günstiger produzieren können, als konventionelle Waren. Das liegt auch daran, dass die Kosten für Saatgut, für Kunstdünger und Energie laufend steigen. In der Bio-Produktion haben wir dagegen bereits ein System entwickelt, dass 30% weniger Energie benötigt. Außerdem haben wir unser eigenes Saatgut – so können wir mit der Zeit immer konkurrenzfähiger werden.“

Konkurrenzfähiger zu werden heißt dann aber auch, die in Rumänien einheimischen Schafe mit französischen Hochleistungsschafen zu kreuzen, damit die Tiere in Zukunft noch mehr Milch und Fleisch geben können. Aber passen Masse und Qualität bei Bio-Waren überhaupt so richtig zusammen? Zumindest Theo Häni ist davon überzeugt: „Ich meine, Bio ist mehrheitsfähig. Es wird über kurz oder lang die Einsicht einkehren, dass wir nur über die Bio-Schiene die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft gewährleisten können.“

Tatsächlich scheint der größte Nutznießer des Bio-Booms unsere Umwelt zu sein. Auch in Deutschland wird mittlerweile verstärkt biologisch angebaut. Der Discounter LIDL lässt seinen Bio-Salat beispielsweise in der Nähe von Freiburg anbauen – von rumänischen Gastarbeitern. Und so funktioniert das: Eine Auftragsfirma bestellt für LIDL die zertifizierte Bio-Ackerfläche und besorgt die billigsten Arbeitskräfte. Die eigentlichen Besitzer der Felder – in diesem Fall die Gebrüder Schneider – haben mit der Salatproduktion selbst dann gar nichts mehr zu tun, obwohl täglich eine Tonne Salat von ihren Feldern an LIDL geht. Dem Landwirt Lebrecht Schneider ist das nur recht: „Der Markt ist im Fluss und Bio boomt – da soll doch Bio bitteschön auch in Deutschland boomen, anstatt nur anderswo. Und wenn wir damit jedes Jahr 20 Prozent mehr Fläche für den Bio-Markt zulegen können, dann ist das doch wunderbar. Wir haben mit 120 Hektar angefangen und nur Eigenproduktionen gemacht – inzwischen verkaufen wir Waren von etwa Tausend Hektar. Vielleicht sind wir ja in fünf Jahren schon bei 2000 Hektar – das wäre natürlich noch viel besser. Denn der Bio-Markt soll auch bei uns wachsen – das ist schließlich auch ein Grund, warum wir mit LIDL zusammen arbeiten.“

Tatsächlich können wir uns über jeden zusätzlichen Hektar Bio-Boden nur freuen. Für unsere Umwelt. Ansonsten kann man die Industrialisierung des Bio-Marktes durchaus kritisch sehen. Genau das machen die Kunden von Bio-Bauer Walter Kress, der sich auf den Anbau von Kartoffeln spezialisiert hat: „Der Kunde möchte wissen, woher die Kartoffeln kommen und wer sie angebaut hat. Sie fragen sich, ob sie den Bauern oder die Region kennen. Denn die Kartoffel ist ja ein Lebensmittel, dass auch nach meinem Dafürhalten im Umkreis von zehn bis zwanzig Kilometern in einer Top-Qualität erzeugt werden sollte.“

Und dennoch – mit seinen Bio-Kartoffeln ist Bauer Kress in seiner Region Neckarsulm ständig auf Achse auf der Suche nach neuen Kunden, sei es in der Betriebskantine oder in der örtlichen Gastronomie. Für ihn ist Bio ein sehr mühsames Geschäft. Denn auch bei Bio interessieren sich mittlerweile die Meisten nur noch für den besten Preis. Das angebliche Bio-Bewusstsein sucht er dagegen oft vergebens. Daher fordert er von der Politik mehr Unterstützung für die Bio-Landwirtschaft.

Das derartiges möglich ist, zeigt sich besonders in Wien – der heimlichen Bio-Hauptstadt Europas. Hier muss beispielsweise das Essen in allen staatlichen Kindertagesstätten mindestens 50% Prozent Bio sein. So will es die Stadt. Hier können die Eltern für ihre Kinder eine Menü-Auswahl zwischen „normalem“, Schweinefleisch-losem oder vegetarischem Essen treffen. Mindestens 50% Bio sind alle drei Varianten und die Wiener Kindertagesstätten erhöhen Jahr für Jahr ihren Bio-Anteil am Essen – ohne das die Kosten für die Eltern steigen. Anstelle der global dominierenden Zuckerwassergetränke stehen hier Bio-Fruchtsäfte auf den Kindertischen. Zudem wird viel sehr viel über das Essen und eine gesunde Ernährung mit den Kleinen gesprochen.

Doch das ist längst nicht alles. Alle städtischen Einrichtungen Wiens – nicht nur Kindergärten, sondern auch Schulen, Krankenhäuser oder Altersheime – werden zu einem wachsenden Teil mit Bio-Waren versorgt. Das betrifft tagtäglich über 85.000 Menschen – Dank der „Bio-Initiative“ der österreichischen Hauptstadt. Tatsächlich scheint sich die ganze Stadt an dieser Initiative zu beteiligen – so wird auch eine Kompostanlage betrieben, die sämtlichen Grünschnitt der Stadt gemeinsam mit den Abfällen aus den Bio-Tonnen aufbereitet. Tatsächlich gilt die Stadt Wien als einer der größten Bio-Bauernhöfe Österreichs, hier werden mehrere Hundert Hektar Land rein biologisch bewirtschaftet und man leistet sich sogar eine eigene Bio-Forschungsstelle. Im Rahmen dieser Forschung wird in einem tiefen Schacht schon über zehn Jahre lang die Qualität des Sickerwasser untersucht – dabei zeigte sich, dass der Bio-Kompost eine echte Alternative zur chemischen Düngung ist. Die Menge der Erträge auf den Wiener Feldern kommt mittlerweile schon fast an die der konventionellen Landwirtschaft heran.

Für die Wiener Bio-Pioniere steht fest, dass Bio einen enormen Mehrwert hat. Denn nur mit einer biologischen Bewirtschaftung lässt sich Humus (extrem fruchtbarer Boden, der aus reinem Kompost entsteht) effektiv vermehren – im konventionellen Landbau gehen dagegen weltweit jährlich Millionen Hektar Land durch Erosion verloren, ganz zu schweigen von dem immensen Verlust von Mikro-Organismen in den Böden und vom Aussterben vieler Pflanzen- und Tierarten.

Dazu kommt: nur durch den nationalen Bio-Boom halten sich in Österreich noch viele kleine, einheimische Landwirte am immer heißer umkämpften Bio-Markt. Doch von einem derartigen politischen Rückenwind können deutsche Bio-Bauern dagegen nur träumen. Sie produzieren zwar auch regionale Premium-Produkte, doch damit müssen sie gegen die oftmals deutlich preisgünstigeren globalen Industrie-Bio-Waren konkurrieren. Sollten die Bio-Kunden ihre Kaufentscheidung vermehrt anhand des günstigsten Preises treffen, werden nachhaltig produzierende deutsche Bio-Bauern mit der Zeit ruiniert und unwiderruflich ins kommerzielle Aus gedrängt. Eine Besteuerung von Transportwegen könnte sicherlich hilfreich für eine Entwicklung hin zu regionalen Bio-Produkten sein, doch ansonsten liegt es mal wieder an uns.

Auch wenn nicht erwiesen ist, dass Bio-Lebensmittel wirklich gesünder sind als konventionell hergestellte, so ist doch völlig unstrittig, dass die biologische Landwirtschaft die mit Abstand umweltfreundlichste ist. Allein deshalb macht der Einkauf von Bio-Produkten wirklich Sinn – ein „besseres Gefühl“ inklusive.